Von Siegfried von Xanten
Die Engländer mögen ja im Allgemeinen mehr schlecht als recht kochen können, allerdings macht ihnen in der Gerüchteküche so schnell niemand etwas vor. Wobei die Witze über die englische Küche auch nur bedingt stimmen.
„Es ist schon wahr, dass es den Engländern erstaunlich oft gelingt, an sich hervorragende Produkte an die Grenze der Genießbarkeit zu kochen, zu garen oder zu braten […]“. Aber man kann auch in England gut essen. Wenn man dreimal am Tag frühstückt.
Der Führer bevorzugt schmale und gesunde Kost. „Immer ganz feine Sachen [..], toll zubereitet und streng vegetarisch.“ „Möhren und Spargel, Blumenkohl und Chicorée“, das ist der Speiseplan in der Wolfsschanze, „so gut wie jeden Tag.“ Sagt Margot Woelk. Für fast zwei Jahre Vorkosterin im Hauptquartier des Führers.
Dabei ging es wohl eher um eine mögliche Giftattacke, als um weibliche Hormone, wenngleich ein geheimer Plan der Alliierten angeblich vorsah, dem Führer „Östrogen ins Essen zu mischen. Das berichtet im August 2011 ein britischer Wissenschaftsjournalist. Die Hormone sollten Hitler demnach weiblicher und damit weniger aggressiv machen.“
Und für „besondere Anlässe gab es sogar einen Cocktail mit dem Extrakt aus Samenbläschen und der Prostata junger Stiere.“ Sagen Historiker-Experten.
2009 behauptete der russische Geheimdienst, „er habe Hitlers Schädel entdeckt.“ Mit Einschussloch. Laut DNA-Analyse der Schädel einer Frau. Es müssen also sehr viele weibliche Hormone gewesen sein.
Und die Ärzte der Roten Armee, die die Autopsie der Leiche des Führers in Berlin durchgeführt hatten, nachdem dieser bereits – nach seinem Selbstmord und vorübergehenden Tod – in Richtung Übersee unterwegs war, kamen zu dem Ergebnis, „dass er nur einen Hoden gehabt habe, medizinisch Monorchie genannt.“ Ein russisch verifiziertes, zuvor in der englischen Küche gekochtes, Gerücht. Very frisiert.
Ohne Vorkosterin kommt die englische Gerüchteküche aus. Sie gehört zu den besten der Welt. Eine Großküche, in der Halbwahrheiten und Propaganda gerne mitkochen. Gerüchte sorgen für Struktur. Und Gerüchte sind unglaublich effizient. Effizienter als Pressemitteilungen, Kampagnen und Recherchen.
Die Kraft des Gerüchtes ist kaum zu unterschätzen. Gerade wenn die Informationslage dünn ist. Und Menschen brauchen Struktur. Einen roten Faden. Und wenn es eine Scheinstruktur ist. Es die Sehnsucht nach einem „Master-Narrativ“. Mit Beliebigkeit kommen Menschen eher weniger klar.
Und es wird nicht nur gekocht, sondern auch noch gefüttert: „Wir fütterten die Journalisten mit halbwahren und geschönten Informationen, oder wir stellten sie kalt. So hat das funktioniert.“ Sagte der ehemalige britische Diplomat Carne Ross.
Besonders gern wird das Servierte genossen, wenn es „durch Leute von Oxford, Cambridge, Harvard oder Columbia [mit Empfehlungen begleitet wird]. Oder durch solche mit Karrieren bei der BBC, dem Guardian, der New York Times und der Washington Post.“ Liberal, fortschrittlich, aufgeklärt, anti-rassistisch, feministisch, kriegsliebend. Der Zeigefinger des moralischen Zeitgeistes.
Es geht darum, „‘die Zustimmung der Menschen zu erlangen‘, um diese ‚nach unserem Willen zu kontrollieren und zu regieren, ohne dass es ihnen überhaupt bewusst wird‘“. Sagte der Neffe Sigmund Freuds, der amerikanische Journalist Edward Bernays.
Die Köche setzen auf das soziale Trägheitsgesetz, auf das Beharrungsvermögen der Menschen, die ihre Ruhe haben wollen. Der sogenannte Default Effect. Der Vorgabe- oder Standard-Effekt:
„Wer neu bewerten soll, muss neu entscheiden – und das ist Arbeit. Um die zu vermeiden, wird die bestehende Option schöngeredet, der Status quo überhöht, Alternativen werden ignoriert. Während sich Extremisten in ihrer Welt einigeln und auf alles schießen, was sich draußen bewegt, tun die Defaulters nichts. Sie wollen sich nicht entscheiden, sie nehmen, was da ist. Der Default Effect ist eine Art Analphabetismus des Bewertens und Entscheidens.“ |
Und der Führer? Hat sich entschieden. Und ist immer noch da. Er mag sich ja physisch aus Deutschland – vorübergehend – verabschiedet haben, aber als kontrafaktischer Erzähler-Held war er in England auch „nie weg. Entweder hat er am Ende doch noch den Zweiten Weltkrieg gewonnen und beherrscht nun die Erde oder doch wenigstens Europa.
Oder er hat den Krieg verloren, ist aber dann mit einem Vril-U-Boot nach Südamerika entkommen, um von dort sein Comeback vorzubereiten. Als Projektionsfläche für Ängste vor den Deutschen taugt er bis heute.“
Börsengerüchte aus der City of London sind seit 200 Jahren ein Klassiker. Besonders gut lässt sich natürlich mit Kriegen verdienen. Insbesondere wenn man den Ausgang bereits kennt und die Marktteilnehmer mit gegenläufigen Informationen narrt. Es muss ja nicht gleich ein Kurssturz von 95 Prozent mit anschließender Kursvervielfachung sein, so wie in der Rothschild-Napoleon-Wellington-Allerweltsanekdote.
Im Ersten Weltkrieg wurde ein unglaubliches Potpourri aus Gerüchten gekocht. Ein Kreuzzug gegen Hunnen und Barbaren. Menschenfresser mit Pickelhaube. „German blood Lust“.
Abgehackte Kinderhände, durch deutsche Soldaten verstümmelte Babys, das Blut von Säuglingen trinkende Soldaten, verstümmelte Krankenschwestern, Schergen Attilas, die ihre Opfer lebendig verbrennen, den Reichsadler auf die Gesichter von Gefangenen tätowieren und deren Körper zu Schmierseife verarbeiten und eine von Kaiser Wilhelm II. ausgelobte Prämie für U-Boot-Kapitäne, die Schiffe mit Frauen und Kindern an Bord versenken.
Die Menschenfresser verschwanden, die Pickelhauben überlebten. Sie wurden später vermutlich von Nazi-Waschbären aufgetragen, die Hermann Göring angeblich für die Jagd und spätere Invasion der Insel am Edersee ausgesetzt haben sollte.
Erstklassig wird das Propagandamenu, wenn man dazu noch ein von einem deutschen U-Boot versenktes Schiff, die Lusitania, nimmt. Ein Passagierschiff. 1198 Tote. An Bord vier Millionen Patronen für Remington Gewehre und 1250 Kisten Granaten und Geschütze. Eine exakt geplante Katastrophe.
Gefälschte Ladepapiere und Pläne zur Bewaffnung des Schiffes. Ein Geheimabkommen zwischen der Royal Navy und der Cunard-Reederei. Und unterdrückte Zeugenaussagen. Sagt der britische Historiker Colin Simpson.
Die Lusitania wurde am 7. Mai 1915 versenkt. Die Kaiserliche Deutsche Botschaft hatte am 22. April in den 50 größten amerikanischen Zeitungen vor einer Zerstörung gewarnt. Und Cunard hatte versichert, „die Lusitania sei ‚zu schnell‘ für U-Boote‘“. Sie war tragischerweise zu langsam für dieses Gerücht.
In der Gerüchteküche werden auch Wahrheiten verarbeitet. Oder durch Schweigen ersetzt. Und dann „wird das Schweigen zur Lüge“. So der sowjetische Dissident Jewgeni Jewtuschenko. Und manchmal wird sie so heiß gemacht, dass sie zu Staub zerfällt, die Wahrheit, oder sie verlässt die Küche und trägt neben dem Etikett des Gerüchtes das der Verschwörungstheorie. Und im Krieg wird es noch einsamer um die Wahrheit. Sagt Arthur Ponsonby.
Einsam wurde es auch um die Wahrheit über Dresden. Und heiß. 1945. Sehr heiß. Weißer Phosphor brennt bei 1300 Grad. Und lässt sich nicht löschen. Bis nur noch Staub übrig bleibt. Die Wahrheit „vom Phosphor entkleidet“ und nackt zu Staub zerfallen.
Militärische Ziele in der Umgebung der Stadt hin oder her. Zuallererst sollte gebraten werden und allen voran „die Flüchtlinge aus Breslau“. Wie es Churchill formulierte. Oder: „der Mann ist geisteskrank!“ Wie es der Führer formulierte.
Und für alle, die groß rechnen wollen, holt man sich dann noch eine Historikerkommission in die Küche, die große Zahlen kleinrechnet. Staatlicherseits berufen. Von mindestens 250.000 gelangt man durch Abstreichen einer Null auf 25.000. Tote. 45 Jahre später. Und der Untersuchungsbericht des IKRK in Genf vom Frühjahr 1945 und Augenzeugenberichte sind Makulatur.
Kommissionen setzen sich in der Regel aus Experten zusammen. Und Experten, das sind bekanntlich die Spezialisten, die auch schon mal zeigen, dass die Wahrheit gerade nicht auffindbar ist, wenn es sich rechnet. Und die in fünf von vier Fällen andere glauben machen wollen, dass sie richtig liegen, wenn sie die Wahrheit ausgeklammert haben.
Die Historikerkommission hatte „in Großbritannien Dokumente angefragt, die belegen könnten, dass Phosphorbomben eingesetzt worden sind.“ Dort gibt es aber „keine Aufzeichnungen darüber, dass jemals Phosphorbomben in britische Bomber verladen wurden.“
„Moral bombing“. Erst Sprengbomben, die Dächer und Fenster zerstörten. Danach Brandbomben, die einen Feuersturm entfachten. Bomben mit Zeitzündern, die die Feuerwehr davon abhielten, die Brände zu löschen. Wobei sich die Frage stellt, was man mit der Feuerwehr will, wenn sich Phosphor eben nicht löschen lässt.
Und keine Aufzeichnungen. Nur eine Visitenkarte mit Patina, wie der Bayerische Rundfunk am 25.10.2017 meldete. Es wurde „etwas gefunden […], das es nach Auffassung der staatlich bestellten Historiker nicht gibt: Britische Phosphorbomben.“ Gefunden bei Augsburg. Womit wir wieder bei der Wahrheit wären.
Und mit der Wahrheit ist es ja so eine Sache. Denn es nicht alles wahr, was geschehen ist. Und nicht alles geschehen, was wahr ist. Mit anderen Worten:
„Manche Ereignisse geschehen, sind aber nicht wahr. Andere sind wahr, finden aber nie statt.“ |
Da weiß der Kopf genauso viel, wie man, und man weiß nicht mehr, wo er noch stehen soll, der Kopf. Verheerend.
Das meint auch der Führer:
„Die europäisch intellektuelle Welt, Universitätsprofessoren, höhere Beamte, die haben es nicht kapiert. Auf gewissen Gebieten wirkt jede professorale Wissenschaft verheerend […]“. |
Die professorale Wissenschaft führt auch schon mal zu sprechenden und lesenden Hunden, die womöglich dem Zweiten Weltkrieg noch eine ganz andere Wendung hätten geben können, wenn der Führer, wie geplant, Schäferhunde zum Einsatz gebracht hätte.
Immerhin wollte er den Tieren das „Sprechen, Lesen und Buchstabieren beibringen, behauptet Uni-Professor Jan Bondeson. Ein Mischling soll sogar auf Befehl ‚Mein Führer‘ gekläfft haben.“
Weder sprechen, noch lesen oder buchstabieren mussten die Sexpuppen können, die, so das Gerücht, das die Sun verbreitete, der Führer für seine Soldaten bestellt hatte. „Sie sollten aufblasbar sein, blond, blauäugig und klein genug für einen Soldatenrucksack.“
Richtig aufgeblasen wurden allerlei Gerüchte in der englischen Küche nach der Gefangennahme von Rudolf Heß. Wobei sich Winston Churchill in der Nacht zum 12. Mai 1941 lieber „die Marx Brothers an[sah].“
Nicht die Marx Brothers waren es dann, die Rudolf Heß in Spandau umgebracht haben sollen:
„Scotland Yard bekam die Namen der britischen Agenten, denen vorgeworfen wird, den Nazi Rudolf Heß in dem berüchtigten Spandauer Gefängnis ermordet zu haben, wurde aber von den Staatsanwälten angewiesen, die Untersuchungen hierzu nicht weiterzuführen, wie ein neuerdings veröffentlichter Polizeibericht besagt.“ |
Regelmäßig aufgefrischt wurden auch gerne Gerüchte, „Hitler sei krank oder tot.“ Und während einer Typhus-Epidemie in Hamburg setzte eine Einheit des britischen Geheimdienstes „das Gerücht in die Welt, der Impfstoff sei vergiftet, um zu erreichen, dass möglichst wenige Eltern ihre Kinder impfen ließen.“
Und was sagt der Führer? „Es gibt auch geistige Emigranten“. Und zur Gerüchteküche im Besonderen? „England wäre nicht das geworden, was es heute ist.“ Ohne die Gerüchteküche. Und zur Küche im Allgemeinen: „Wenn ich Engländer wäre, würde ich mir die Haare raufen.“
Und zur deutschen Küche?
„Wir wollen nicht lügen und wollen nicht schwindeln. […] Wir wollen arbeiten, aber das Volk selbst, es muß mithelfen. Es soll nie glauben, daß ihm plötzlich Freiheit, Glück und Leben vom Himmel geschenkt wird. Alles wurzelt nur im eigenen Willen, in der eigenen Arbeit. Glaube niemals an fremde Hilfe […].“ |
Und schon gar nicht an die Hilfe von englischen Köchen, möchte man hinzufügen.
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