Mehrfach durfte man sich in jüngster Vergangenheit die Frage stellen, warum sich der “Brexit“ eigentlich so sehr in die Länge zieht und was der Grund für die politischen Ränkespielchen von Theresa May, sowohl innenpolitisch, als auch mit der EU sein mag.
Einen möglicherweise wichtigen Hinweis gab am 12. Dezember 2018 eine Meldung, welche durchaus aufhorchen lässt:
An die Londoner City hat die britische Premierministerin Theresa May offensichtlich nicht gedacht, als sie die Unterhaus-Abstimmung zum Brexit-Deal absagte. Die großen Clearinghäuser sind deshalb nun mit erheblichen Problemen konfrontiert. |
Probleme bei den Clearinghäusern?
Offensichtlich ja, denn aufgrund einer Dreimonatsfrist müssen diese nun sehr zeitnah entscheiden, was mit den offenen 45 Billionen (kein Schreibfehler!) Pfund an Derivaten ihrer Kunden aus der EU geschehen soll. Da im Vereinigten Königreich aber nach wie vor ungeklärt ist, wie der Ausstieg aus der EU vonstatten gehen soll, laufen die Londoner Clearinghäuser Gefahr, dass ihre Derivatepositionen mit EU-Kunden am 29. März 2019 geschlossen werden müssen.
Diese werden sich natürlich nicht einfach in Luft auflösen, denn dies wird Auswirkungen haben …
“Derivate“ – was ist das eigentlich?
Bei Wikipedia heißt es:
Ein derivatives Finanzinstrument oder kurz Derivat ist ein gegenseitiger Vertrag, der seinen wirtschaftlichen Wert vom beizulegenden Zeitwert einer markt-bezogenen Referenzgröße ableitet. Die Referenzgröße wird als Basiswert (englisch underlying) bezeichnet. Basiswerte können Wertpapiere (Aktien, Anleihen usw.), finanzielle Kennzahlen (Zinssätze, Indizes, Bonitätsratings usw.) oder Handelsgegenstände (Rohstoffe, Devisen, Edelmetalle usw.) sein. Derivate dienen dem Transfer von Risiken: Die Marktrisiken des Basiswertes werden durch Vertragsgestaltung in den Derivatevertrag implementiert und können nunmehr separat gehandelt werden. Der Basiswert selbst muss nicht mehr erworben oder veräußert werden. Derivate ermöglichen daher die Trennung von dinglicher Inhaberschaft am Basiswert und Partizipation an dessen Marktchancen und -risiken. Zugleich besteht ein hohes Maß an vertraglicher Gestaltungsfreiheit: Die Partizipation an den Marktrisiken des Basiswertes durch das Derivat muss nicht 1:1 übernommen werden, sondern kann – je nach Risikobedürfnissen der Vertragsparteien – beliebig abgewandelt werden. |
Neben den sichtbaren Derivaten werden auch außerbörsliche Derivate gehandelt (“OTC“ genannt, kurz für “Over The Counter“). Welchen Umfang der weltweite Derivate-Markt hat, ist unklar. Angenommen wird, dass rund $ 1,2 Billiarden (1.200.000.000.000.000) existieren, andere gehen davon aus, dass der Markt die Größenordnung des 10-fachen des Welt-BIP umfasst.
Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) belief sich die Zahl ausstehender und verbuchter Derivate im Sommer 2018 auf $ 542,4 Billionen. Setzt man nun die 45 Billionen Pfund dagegen, was derzeit rund 56,65 Billionen US-Dollar entspricht, dann wird auch ersichtlich, warum sich die Clearinghäuser in der Londoner City berechtigte Sorgen machen. Zumal diese rund 10 % der weltweiten Derivate “nur“ EU-Kunden der CoL betreffen! Wie hoch mag der Gesamtanteil an weltweiten Derivaten in London sein?
Die Unklarheit in Bezug auf die Abwicklung des “Brexit“ betrifft in jedem Fall die Vertragsbasis der von den Londoner Clearinghäusern verfügten Derivate mit ihren Gegenstücken in der EU. Sollte das Vereinigte Königreich also unreguliert aus der EU aussteigen, müssen die betreffenden Derivate geschlossen werden und es darf mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die 45 Billionen Pfund eine unbekannte Größenordnung an darauf aufgesetzten Verträgen beeinflusst.
Hält man sich nun vor Augen, dass Großbritannien – angesichts eines durchaus maßgeblichen BIP-Anteils an Finanzdienstleistungsgeschäften – von Londons Status als Welt-Finanzplatz lebt, fällt es kaum schwer zu folgern, dass das Land ansonsten nicht nur kaum Nennenswertes für den Export zu bieten, sondern ein echtes Problem hat.
Weiter könnte man in Anbetracht der fast 2 Billionen Pfund Staatsschulden salopp durchaus in den Raum stellen, dass Großbritannien ebenso pleite ist, wie Frankreich, Italien, Griechenland oder Portugal, welche allesamt von Deutschland, genauer: der BRD, über Wasser gehalten werden.
Dass die britische Arbeiterpartei “Labour“ nun maßgeblichen Druck auf die Premierministerin Theresa May aufbaut, indem ein Misstrauensvotum angestrebt wird und mit Nachdruck eine Abstimmung über den Brexit im Parlament durchgesetzt werden soll, mag wohl mit der offenbar erheblich prekäreren Situation in Bezug auf den Finanzplatz London zusammenhängen, denn eine Abstimmung “Mitte Januar“ kommt für diesen einfach zu spät.
Fragen über Fragen …
- Was würde das zwangsweise Schließen der Derivate für die Finanzmarktarchitektur (weltweit) bedeuten?
- Welche Folgen hätten die Verstrickungen der CoL mit anderen Finanzstandorten und der Weltwirtschaft?
- Wie würde sich dies auf das Kreditgeschäft und die Zinsen auswirken?
- Wären hiervon nicht nur Banken, Unternehmen und Staaten betroffen, sondern auch der “kleine Mann“, als im Hamsterrad strampelnder Häuslebauer?
- Gibt es einen Zusammenhang zu den Kursen der Deutschen Bank oder auch der Commerzbank?
Überhaupt: Ein Ausstieg aus der “Europäischen Union“ war und ist bekanntlich gar nicht vorgesehen. Hat sich also irgendwer schon mal die Frage gestellt, ob die EU rein rechtlich gesehen überhaupt noch Bestand hat, wenn sich das Gründungsmitglied “Vereinigtes Königreich“ zurückzieht?
[Berichtigung: Das Vereinigte Königreich war kein Gründungsmitglied der EG, sondern trat der Europäischen Union erst 1992 bei, nachdem es 1973 Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft geworden war. Danke an Amelie für den Hinweis. N8w.]
Und bei der Gelegenheit: Wo wurden die “Römischen Verträge“ noch gleich unterzeichnet …?
Es ist ja keineswegs so, dass “es“ uns nicht immer gesagt wird.
Alles läuft nach Plan …
Der Nachtwächter
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