Vielfach wird insbesondere im deutschsprachigen Telegram und auf YouTube die Forderung vorgebracht, wir Deutsche müssten oder gar könnten ausschließlich über die Wiederherstellung des 1919 in fragwürdiger Weise „abgeschafften“ Deutschen Reiches den Weg in die Freiheit finden.
Das wichtigste Schlagwort in diesem Zusammenhang lautet: „Verfassung von 1871“. Wie diese zustandegekommen ist und was dieser Rückschritt bedeuten würde, wird dabei jedoch gerne unter den Tisch gekehrt.
Der von der Deutschen Bundesakte vorgegebene Auftrag zur Verfassung der deutschen Staaten sollte per Dekret der jeweiligen Herrscher umgesetzt werden. Verhandlungen mit Vertretern der Stände bildeten eine rare Ausnahme, die Senate der Freien Hansestädte folgten ihrem Sonderstatus und beriefen sich auf traditionelle Regeln der bereits aufgelösten Hanse. Wie in dieser Übersicht ersichtlich ist, wurde das gemeine Volk in Sachen Verfassung allerdings nirgends gefragt: „oktroyiert“, „erlassen“, „gegeben“, „verkündet“, „verordnet“, „eingeführt“, usw.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 diente der deutschen Einigung und öffnete die Tür für die süddeutschen Königreiche und Fürstentümer zum Beitritt als Bundesstaaten. Aus dieser Verfassung ging die Bismarck-Verfassung des Jahres 1871 hervor, welche das Deutsche Reich unter preußischer Führung begründete. Wenngleich die Bundesstaaten und Freien Städte weiterhin ihre Verfassungsfähigkeit behielten und auch über ihre innere Ordnung bestimmen konnten, fand ihre Souveränität als jeweilige Gliedstaaten des Deutschen Reiches ihr Ende.
Veröffentlicht im Reichsgesetzblatt Nr. 63 vom 16. April 1871 hieß es:
„Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. verordnen hiermit im Namen des Deutschen Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt: …“
Das Volk wurde auch 1871 nicht gefragt und die Verfassung bildete fortan die rechtliche Grundlage für das Deutsche Reich, bis sie am 14. August 1919 durch Artikel 178 der „Weimarer Verfassung“ aufgehoben wurde. Inwiefern dies rechtens war, sei für den Moment einmal dahingestellt, denn im Jahre 2020 stellen sich zu dem oben geschilderten Hergang ebenso Fragen wie zu den Inhalten der von vielen geforderten Verfassung von 1871 als Grundlage eines Post-BRiD-Rechtskreises.
Die gesamte Rechtsprechung des 19. Jahrhundert war maßgeblich von französischem Recht („code civil“ = Kanonisches Recht!) beeinflusst. Die Verfassung von 1871 vermochte zwar einige Aspekte des Preußischen Landrechts zu „retten“, beruhte jedoch ebenso überwiegend auf Kirchenrecht wie auch das BGB.
Für das 21. Jahrhundert ist diese Verfassung angesichts einiger Regelungen ohnehin zu hinterfragen, wenn nicht vollkommen unzeitgemäß. Sei es z.B. das Ständewahlrecht oder die rechtliche Stellung der Frauen.
Darüber hinaus definiert Artikel 6 den Bundesrath und dass die Herrscher der Bundesstaaten ihre Vertreter entsenden. Die Bundesstaaten sind weder faktisch vorhanden noch entsprechend organisiert. Davon abgesehen ist zu bezweifeln, dass die für den Gang über die Verfassung von 1871 wiedereingesetzten Könige und Fürsten sich die ihnen neu gegebene Macht einfach wieder nehmen lassen – sofern sie sich der Verantwortung überhaupt stellen wollen.
Artikel 11:
„Das Präsidium des Bundes steht dem Könige von Preußen zu, welcher den Namen Deutscher Kaiser führt.“
Folglich handelt es sich beim höchsten Vertreter des Reiches um einen Präsidenten mit dem „Namen [!] Deutscher Kaiser“. Dies ist letztlich eine reine, auf sentimentaler Geschichte beruhende Mogelpackung, welche mit einem echten Kaisertitel rein gar nichts zu tun hat. (» Was ist ein Kaiser?)
Wer also will diesen Rückschritt wirklich gehen?
Wer will sich weiterhin im Kirchenrecht bewegen?
Welches Weib und welcher Mann will sich entrechten lassen?
Wer will statt „Unterthan“ doch lieber frei sein?
Alles läuft nach Plan …
N8w & Magnus
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