Julzeit
Die Sonne ist versunken,
Nacht über Wald und Feld.
Im Dunkel tief ertrunken
all süße Luft der Welt.Lass fahren, Herz, lass fahren!
Sei stark in Not und Pein.
Bald wird auf Nordlands Erbe
ein neuer Frühling sein.Und liegt im Schoß begraben
das Land so weiß und weit,
und rufen rau die Raben,
erfüllt ist bald die Zeit.Es soll uns nimmer schrecken
ein Dunkel noch so groß;
das Licht wird neu geboren
aus ewgem Mutterschoß.Ist eine Nacht der Nächte,
da wächst das Wunder leis,
die ewgen Gottesmächte
bezwingen Nacht und Eis.Lass helle Kerzen brennen
in Saal und Seele dein,
bald wird auf Nordlands Erbe
ein neuer Frühling sein!(Guntram Erich Pohl)
Am gestrigen 21. Dezember 2021 um 16:58 Uhr begann das neue Sonnenjahr, der neue Jahreszyklus. Die Tage werden nun wieder länger und das Licht tritt seinen alljährlichen sprichwörtlichen Siegeszug gegen die Dunkelheit an.
Die Sonnenwenden im Winter und Sommer sowie die Tag- und Nachtgleichen im Frühjahr und Herbst waren bei praktisch allen alten Völkern kalendarische Ankerpunkte. Unsere Vorväter feierten die Wintersonnenwende mit dem Julfest, der geweihten Nacht, und den Rauhnächten.
Hintergrund für diese besinnliche Zeit war die Angleichung der Sonnen- und Mondkalender. Ein Mon(d)at, von Neumond zu Neumond, dauert 29 Tage, 12 Stunden und 44 Minuten – oder rund 29 ½ Tage. Diese Mondphasen waren für jeden gut beobachtbar und dienten als Grundlage für Aussaat oder auch Heil- und Fastenzeiten. In 354 Tagen finden somit genau 12 Neumonde statt, wohingegen das Sonnenjahr 365 (genauer: 365 ¼) aufweist. Die Differenz sind 12 Nächte und 11 Tage, die bekannte Zeit “zwischen den Jahren“, die Rauhnächte.
Die auf die längste Nacht des Jahres folgende Nacht wurde von unseren Ahnen als Beginn einer inneren Einkehr begangen. Diese Einkehr dauerte 12 Nächte und 11 Tage; eine Zeit der Besinnung, der Orakel und Rituale:
“Für die Germanen hatten die 12 Rauhnächte große Bedeutung. Hier sollten die Geschehnisse jeder einzelnen Nacht, symbolisch für einen Monat des folgenden Jahres stehen. So sollen z.B. die Träume in diesen Nächten Aufschluß darüber geben, was passieren wird. Es wurden in diesen Nächten auch Orakel befragt, die Auskunft über die Zukunft geben sollten. Dieser Brauch hat sich im Bleigießen zu Silvester erhalten. Es heißt, daß in den Rauhenächten die Seelen der Verstorbenen als wilde Horde, angeführt von Wodan (bzw. nordger. Odin), durch die Luft brausen. Mit dem zu Jul entzündeten Räucherwerk wollte man die verstorbenen Seelen vom Heim fernhalten. Es wird allgemein angenommen, daß vom Rauch dieses Räucherwerkes und des Runen raunens der Name Rauhenächte abgeleitet wurde.“
Im Zuge der Christianisierung durch die Katholische Kirche wurden diese alten Bräuche zunächst geächtet und später dann adaptiert. Der Weihenachtstag am 25. Dezember wurde als Geburtstag von Jesus Christus festgelegt und der Tag nach den darauf folgenden 12 Nächten, der 6. Januar, der Tag der “Heiligen drei Könige“, markiert das Ende der Feierlichkeiten. So begehen millionen Menschen weltweit bis heute um wenige Tage zeitversetzt ein uraltes „heidnisches“ Fest, wenngleich sie sich der Ursprünge überwiegend gar nicht bewusst sind.
Ein neuer Jahreskreis hat also nun begonnen und das Licht siegt einmal mehr über die Dunkelheit. In Gedenken an unsere ehrenwerten Ahnen wünsche ich allen Lesern ein gesundes neues und wundervolles Sonnenjahr. Möge die Zeit zwischen den Jahren der inneren Einkehr, Besinnung und Rückschau dienlich sein.
Alles läuft nach Plan …
Der Nachtwächter
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